Daniele Ganser: NATO Geheimarmeen in Europa. Inszenierter Terror und verdeckte Kriegsführung, Orell Füssli Verlag, Zürich 2008, 445 Seiten

Das 2008 auf deutsch erschienene, aus einer Doktorarbeit hervorgegangene Werk des jungen Schweizer Historikers Daniele Ganser ist so lesenswert und erschütternd, wie die darin untersuchten Sachverhalte auf den ersten Blick unglaublich sind, auf den zweiten jedoch fast folgerichtig erscheinen, bedenkt man, auf welchem Nähr- boden sie Mitte des vorigen Jahrhunderts entstanden. Es geht um sogenannte Stay-behind-Organisationen, geheime militärische Einheiten, ja ganze Armeen im Rahmen der NATO, die in den meisten Ländern Mittel- und Westeuropas nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut wurden und bis zum Zeitpunkt ihrer umfänglichen Entdeckung Anfang der 90er Jahre im Einsatz waren.
In den gewalttätigen Aktionen Hitlers und der NSDAP gegen Kommunisten und Sozialdemokraten sowie ganz allgemein gegen politische Gegner nach dem selbst inszenierten Brand des Reichstags Anfang 1933, der den Kommunisten angelastet wurde, findet sich eine Art gespenstische Blaupause für Denken und Vorgehen der geheimen militärischen Organisationen, die auf Betreiben des amerikanischen und britischen Auslandsgeheimdienstes gegründet wurden. Nach den traumatischen Erfahrungen vieler europäischer Länder mit dem deutschen Einmarsch, der Besatzung und dem Leben in Anpassung oder Widerstand durfte, so die Empfindung der Betroffenen, Vergleichbares nicht mehr geschehen. Der potentielle Gegner, dem man für die Zukunft Entsprechendes zutraute, war nun nicht mehr das besiegte Nazi-Deutschland, sondern die Sowjetunion und mit ihr der zunächst fast überall in Europa erstarkende Kommunismus. Dieses auf westlicher Seite gehegte Motiv für den systematischen Aufbau von schlagkräftigen und modern ausgerüsteten militärischen Netzwerken, deren Einheiten bei einer sowjetischen Invasion hinter den feindlichen Linien zurückbleiben und dort ihre destabilisierende Wirkung ausüben sollten, zieht scheinbar nur die Konsequenzen aus den eben erst gemachten Erfahrungen.
Was geschieht jedoch in Wirklichkeit?
Die soeben erst entstandenen geheimen Organisationen, die ihre Angehörigen aus strikt antikommunistisch eingestellten Kreisen rekrutieren, entwickeln sich in den meisten Fällen zu Instrumenten des Terrors und politisch motivierter Verbrechen. Sie selbst und von ihnen instrumentalisierte gewaltbereite Individuen der äußersten Rechten begehen unerkannt Morde und Attentate an der eigenen Bevölkerung, verwickeln sich in alle Arten schwerer Verbrechen, verrichten Anschläge und Massaker, und legen dies alles kurzerhand denen zur Last, vor denen zu schützen sie vorgeblich angetreten sind.
Dies in groben und knappen Zügen das grundlegende Muster.
Der weitaus größte Teil des Buches behandelt, soweit überhaupt bis heute zugänglich und bekannt, Entstehungsgeschichte und Aktivitäten der Stay-behinds in Ländern von England über Spanien, Portugal, Italien, von Frankreich, den Benelux-Staaten, über Griechenland und die Türkei bis hin zu Dänemark und Norwegen. Das deutsche Kapitel spielt dabei eine besonders makabre Rolle. Hier nämlich werden ehemalige SS-Angehörige und gesuchte Nazigrößen wie Klaus Barbie und Hitlers Spionage-Chef Reinhardt Gehlen von amerikanischer Seite gedeckt und beim Aufbau der entsprechenden deutschen Organisationen eingesetzt. Die einzelnen Kapitel lesen sich zumeist wie Zusammenfassungen der Geschichte organisierter Kriminalität mit faschistoidem Hintergrund und der Aktivitäten moralisch völlig verkommener Killerkommandos, die vor nichts zurückschrecken. Dabei werden selbstverständlich alle Darstellungen ausführlich mit Quellenmaterial belegt.
Man kann bei der Lektüre dieses in vierjähriger Forschungsarbeit entstandenen Werkes den Eindruck gewinnen, große Teile der europäischen Nachkriegsgeschichte müssten umgeschrieben werden. Angesichts offizieller Verlautbarungen über Terroranschläge, Staatsstreiche, politische Morde und Verbrechen im Europa von 1945 bis 1990 ein Werk höchst notwendiger Aufklärung, dem jeder politisch interessierte Zeitgenosse viel verdanken wird.

Nothart Rohlfs

Der Artikel zum Download: Rohlfs-Rezension Ganser